Digitale Post aus dem Nebenzimmer

Für manche Eltern und Großeltern sind die neuen Kommunikationswege und -formen, die die Digitalisierung mit sich bringt, noch mehr oder weniger befremdlich. Und nicht selten kommt es in Familien zu einigen Irritationen. An E-Mail und SMS haben wir uns zwar längst gewöhnt, andere digitale Kommunikationsformen sind für viele von uns jedoch noch einigermaßen gewöhnungsbedürftig.

Das gilt auch für mich, wie ich selbst merkte, als mir eines Abends meine Tochter aus dem Nebenzimmer eine Direktnachricht aufs Smartphone schickte. Wir waren im Urlaub, es war spät, sie lag schon im Bett, ich saß noch am Esstisch und stöberte ein bisschen im Internet herum. Ich sah die eingegangenen Nachricht und dachte nur: „Was soll das denn?! Kann sie nicht einfach kurz herkommen und mit mir reden?!“ In der Nachricht bat sie mich, ihr kurz die Fotos zu schicken, die ich am Nachmittag gemacht hatte. Sie wollte ihren Freundinnen zeigen, wo wir heute waren und wie toll es hier war.

Statt ihr die Bilder zu schicken, fragte ich sie etwas schnippisch, ob sie nicht so freundlich sein könnte, zwei Meter Fußweg in Kauf zu nehmen und mich das persönlich zu fragen. Sie wiederum antwortete wieder per Direktnachricht – worüber ich schon wieder schmunzeln musste und mich gar nicht mehr so richtig aufregen konnte –, dass sie doch gerade mit ihren Freundinnen texten würde und die Bilder doch eh übers Internet verschicken wollte, sodass sie doch auch gleich so fragen könnte. Extra rüberzukommen, wäre doch jetzt auch irgendwie Quatsch.

Jetzt musste ich über die Situation doch ein bisschen lachen, denn so ganz Unrecht hatte sie damit ja irgendwie nicht. Auch wenn es mir etwas merkwürdig vorkam, dass wir kaum zwei Meter voneinander entfernt per digitale Textnachricht miteinander kommunizierten, hatte es doch eine gewisse Logik: Meine Tochter befand sich kommunizierender Weise im #Neuland und wollte Bilder aus dem #Neuland (die lagen natürlich in der Cloud) an Empfänger im #Neuland schicken. Das #Neuland zu verlassen, bloß um die Bitte nach den Bildern analog zu kommunizieren – zumal an jemanden, der garantiert auch gerade im #Neuland unterwegs war –, machte in ihren Augen gar keinen Sinn. Und nach kurzem Nachdenken musste ich vor mir selbst zugeben: Ich fand, sie hatte recht.

Uns schon etwas älteren Erwachsenen erscheint diese spezielle Art der Kommunikation oft immer noch zu unverbindlich oder auch unhöflich, auch weil sich die Regeln und Gepflogenheiten deutlich von denen unserer analogen Gespräche unterscheiden und unseren (analogweltlichen) Ansprüchen an ein formvollendetes Gespräch nicht gerecht werden. Doch für unsere Kinder und vermutlich auch schon für den größten Teil der jungen Erwachsenen hat diese Form der Kommunikation die gleiche Wertigkeit (und Verbindlichkeit) wie beispielsweise ein Telefonat. Und deshalb empfinden sie es auch nicht als unhöflich oder unangebracht, ihren Vater im Nebenzimmer mit einer Textnachricht um etwas zu bitten.

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Letztlich war ich meiner Tochter ganz dankbar für diesen Denkanstoß. Denn ich merkte, dass ich mich anschließend selbst etwas offener zeigte für ihre Art, mit ihren Freundinnen und Freunden oder mit mir und ihrer Mutter digital zu kommunizieren. Ich hatte für mich verstanden, dass das digitale Kommunizieren für sie eine Selbstverständlichkeit war und dass es sich dabei nicht um eine Kommunikationsform handelt, die weniger wert ist als der analoge Nachrichtenaustausch.

Was wir also selbst tun können, um uns im Internet besser zurechtzufinden, ist, uns den neuen Kommunikationswegen und -möglichkeiten nicht aus Prinzip zu versperren, sondern darin die Chance zur Teilhabe und zum Kontakt mit anderen Menschen zu sehen und wahrzunehmen. Das Eintauchen in neue Sprach- und Kommunikationswelten kann unheimlich spannend sein, auf jeden Fall spannender, als die fremde Sprache, den ungewohnten Jargon oder eine neue Gesprächsform als blöd abzutun und sich der Kommunikation zu verweigern. Wenn alle das gegenseitige Verstehen im Blick haben und verstehen, dass Kommunikation nur in beide Richtungen funktioniert, wird die Verständigung auf einmal ganz einfach. Auch über #Neuland-Grenzen hinweg. Und ob die Kommunikation nun analog oder digital stattfindet, spielt letztlich keine Rolle. Wichtig ist jedoch, dass wir alle Kommunikationskanäle souverän nutzen können und den einen nicht als weniger wertvoll als den anderen betrachten. Andernfalls würden wir uns nicht nur Möglichkeiten berauben, sondern könnten auch den direkten Draht zu Kindern oder Enkeln verlieren.

Mehr zum Thema: #Einfachmachen

Thomas Schmidt, Medien- und Kompetenzexperte entwickelt seit mehr als 15 Jahren mit der Agentur Helliwood Bildungsinitiativen und -programme im Themenfeld digitale Medien. Er vermittelt auf eine eigene Art die faszinierend einfache Botschaft, dass wir alle mit unseren ureigenen Stärken in der Lage sind, in einer voll digitalisierten Welt zu bestehen.

One Response to “ Digitale Post aus dem Nebenzimmer ”

  1. […] Digitale Post aus dem Nebenzimmer Thomas Schmidt von “Wapoid” sinniert über die neue Form der digitalen Kommunikation und unterhält sich mit seiner Tochter via Smartphone, während sie im Nebenzimmer sitzt. […]

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